Chillen oder Schwofen? Was der Sprachwandel mit dem Mutterlandprinzip zu tun hat

MuttersprachlerOb durch technische Neuerungen, soziokulturellen Wandel oder ökonomische Entwicklungen: Sprachen wandeln sich ständig. Deshalb arbeiten seriöse Übersetzungsagenturen mit muttersprachlichen Übersetzern zusammen, die in ihren Heimatländern leben. Dort bekommen sie die Veränderungen vor Ort mit und lassen sie in ihre Arbeit mit einfließen. So wird der Übersetzer zum Kulturmittler: Er ermöglicht verlustfreie Kommunikation über alle Sprach- und Kulturgrenzen hinweg.

Sprache: ein ständiges Werden und Vergehen

Was passieren kann, wenn dieses „Mutterlandprinzip“ nicht beachtet wird, lässt sich an zwei Sprachphänomenen beobachten: Archaismen und Neologismen. Archaismen sind Modewörter, die sich überlebt haben („dufte“), Bezeichnungen für Dinge, die es nicht mehr gibt („Wählscheibe“) oder altertümliche Begriffe, die von (oft englischen) Neubildungen abgelöst worden sind („Date“ statt „Stelldichein“). Sprache ist wie das Leben selbst: ein ständiger Kreislauf von Werden und Vergehen.

Neubildungen (Neologismen) entstehen oft in kleinen sozialen Gruppen, etablieren sich dann im allgemeinen Sprachgebrauch und landen schließlich im Duden. Fast unbemerkt schwappen sie aus dem Jugend-, Internet- oder Marketingjargon in die Alltagssprache über („chillen“, „googeln“, „Workflow“). Muttersprachler verwenden diese Wörter wie selbstverständlich in ihrem täglichen Umgang; Nicht-Muttersprachler müssen sie sich dagegen erst mit einem gewissen Verzug aneignen.

Archaismen: Zum Schwof ins Cabaret

Leonhard, der Schelm, geht zum Schwof ins Cabaret. “Duftes Ambiente hier“, sagt er und steckt sich erst mal eine Glimmstängel an. Da fängt die Animierdame (steiler Zahn) an, mit ihm zu poussieren, und Leonhard wird es ganz blümerant. Das Frauenzimmer lädt ihn zum Stelldichein ins Séparée und verlangt Pinke-Pinke. Starker Tobak – Leonhard ist ja selbst noch ein Backfisch! Da bekommt der Bengel Bammel. „Wenn das mein alter Herr erfährt, gibt’s richtig Schelte!“ Spornstreichs eilt er aus dem Etablissement, setzt sich auf seinen Drahtesel und fährt nach Hause zu den Altvorderen.

Warum klingt diese kleine Geschichte so komisch? Weil darin jede Menge Archaismen vorkommen. Sie sind dieser Roten Liste entnommen, die über 600 vom Aussterben bedrohter Begriffe umfasst. Wer eine derartige deutsche Übersetzung vorlegen würde, hätte fachlich gar nichts falsch gemacht – und läge mit dem altertümlichen Duktus doch völlig daneben. Die Glaubwürdigkeit eines Übersetzers hängt auch davon ab, ob er die Sprachebene, den Jargon seiner Zielgruppe richtig trifft. Und das kann er nur, wenn er die Veränderungen der Sprache persönlich miterlebt.

„Frauenzimmer“, „Stelldichein“, „Backfisch“: Nicht nur Tiere sterben aus, sondern auch Wörter. Gleichzeitig entstehen dauernd neue Begriffe – ohne dass wir das so richtig mitbekommen. Sprache verändert sich langsam, aber gewaltig. Denken Sie nur an den Unterschied zwischen dem Slang, den Sie in Ihrer Jugend verwendet haben und den Sie heute von Ihren eigenen Kids (!) hören. Auf dieser Sprachebene würde unsere Geschichte ganz anders klingen:

Neologismen: Zum Chillen im Club

Gestern war Lennie, der Assi, zum Chillen im Club. „Geile Athmo hier,“ sagt er und steckt sich erst mal nen Tabakriegel an. Da fängt so ne aufgepimpte Bitch (hammer Bunny) an, ihn anzubaggern. Lennie findet das alles ganz schön cheezy. Da nimmt ihn die Alte mit auf ihre Bude und will Kohle abziehen. Aber Lennie ist ja selber noch ein Hiphopser. Da bekommt der Boy übelst Schiss. „Wenn das mein Alter rauskriegt, gibt’s mega Zoff!“ Rapido pest er aus der Rammelbude, schmeißt sich auf seine Alugurke und heizt heim zu den Ellis.

Bei der Lektüre dieses Textes hatten Sie sicher ganz andere Bilder im Kopf als bei der altertümlichen Version von oben, stimmt’s? Manche dieser Neuschöpfungen haben Sie vielleicht gar nicht gekannt. Wenn Sie wissen wollen, was hinter den seltsamen Slangwörtern steckt, mit denen die Jugend so um sich wirft, schauen Sie einfach in dieses Lexikon der Jugendsprache. Hier finden Sie alle Begriffe von A wie abbendern (tanzen) bis Z wie zutexten (viel auf jemanden einreden). Auf dieser Seite können Sie sich durch die jüngsten Neologismen klicken und fehlende Neuwörter sogar selber hinzufügen. Auffallend: Neben der Jugendkultur ist die Internet- und Kommunikationswirtschaft die am üppigsten sprudelnde Quelle für Neuschöpfungen: Selfie, App, Nerd, Netiquette, Content, Usability, Tool, Blog, Keyword, Traffic, Ranking, Crowdfunding, Shitstorm, Domaingrabbing …

Anhand der Jugendsprache lässt sich der Sprachwandel am besten darstellen – und wer als Fachübersetzer im Unter-30-Bereich unterwegs ist, wird sich mit ihr auseinandersetzen müssen. Aber auch für andere Fachgebiete wie beispielsweise Recht oder Marketing gilt: Auch die Fachsprachen wandeln sich ständig – aber nicht immer nach denselben Regeln oder in dieselben Richtungen.

Zusammenhänge in die Zielwelt transferieren

Muttersprachliche Übersetzer, die in ihrem Heimatland leben, erleben diesen sprachspezifischen Wandel mit. Von außen lassen sich solche untergründigen Veränderungen kaum recherchieren; Faktenwissen allein reicht nicht aus, um wirklich verlustfreie Kommunikation zu gewährleisten, also Botschaften nicht nur in eine andere Sprache zu übertragen, sondern in eine andere Kultur hineinzuvermitteln.

Besonders im Bereich „Recht“ ist das eine große Herausforderung, schreibt Dipl.-Übersetzerin Giselle Chaumien in diesem Beitrag: „Der Vorgang des Übersetzens eines Fachtextes – unabhängig vom Fachgebiet – von der Ausgangssprache A in die Zielsprache Z setzt voraus Aloha enterprise 4430 , dass der Sprachmittler die Zusammenhänge erkennt, sie begreift und in der Lage ist, sie kontextgerecht in die Zielsprache – man könnte sagen: in die Zielwelt – transferiert.“